Feminismus – Teil 3


Das Thema Feminismus beschäftigt mich schon mein Leben lang. Eins der vielen Dinge, in denen sich die Benachteiligung von Frauen zeigt: Man muss nicht Feministin sein. Aber wenn man für sich selbst Gleichberechtigung will, muss man sich politisch positionieren. Die Gleichberechtigung wird uns bis heute nicht einfach „gegeben“ – auch wenn Feministinnen der letzten Jahrzehnte viele wichtige Erfolge errungen haben.
Daher habe ich mich intensiv mit einigen philosophischen Aspekten des Feminismus befasst. Dieser Text ist aber derartig ausgeufert, dass ich mich entschieden habe, ihn in kürzere Stücke zu teilen und nach und nach zu veröffentlichen. Hier also der dritte Teil einer vierteiligen Serie.


DIe Frau als Das Andere – Normen und Ausschluss als Themen der Dritten Welle

Bereits der Titel von de Beauvoirs Buch – Das andere Geschlecht – deutet die strukturelle Dimension des Patriarchats an: Nicht die konkrete Unterdrückung konkreter Frauen ist der eigentliche Skandal, sondern die Tatsache, dass Frau-Sein als das Andere konzipiert wird und damit Frauen als Gruppe aus dem Zentrum ausgeschlossen werden – was die Unterdrückung konkreter Frauen zur Folge hat.

Männer sind die Norm. Das, was in der Männerherrschaft dabei hilft, sich durchzusetzen und einen hohen Status unter Männern zu haben, gilt als besonders männlich. Das, was von dieser Norm abweicht, ist „das Andere“ und damit weiblich konnotiert und abgewertet. Die Frau ist das Objekt zum Subjekt Mann, in mehr philosophischer Terminologie. Die Frau kann nur in Beziehung zum Mann definiert werden, nicht für sich. Es ist frappierend, wie sehr die ideengeschichtliche Vorstellung mit der (damaligen) realen gesellschaftlichen Situation übereinstimmt und dies in Gesellschaften mit stark patriarchaler Prägung auch heute noch tut: Frauen wechseln von der Vormundschaft des Vaters in die des Ehemanns, können keine Geschäfte abschließen, sind finanziell abhängig, zu Gehorsam verpflichtet, ihre Makellosigkeit ist für den Status des Mannes (Vater oder Ehemann) wichtig. Ihr gesamtes Sein steht in Relation zu Männern.

Diese Normsetzung, die bereits de Beauvoir analysiert hatte, ist, ebenso wie ihre Feststellung, dass man nicht als Frau geboren wird, ein Leitmotiv der in den 1990er Jahren einsetzenden dritten Welle des Feminismus. Dass der Mann die Norm und die Frau das Abweichende, das nur in Beziehung zur Norm definierbare Andere ist, ist ein wichtiges Muster und strukturelles Merkmal von Diskriminierung überhaupt: Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie funktionieren zum Beispiel ebenfalls nach dem Muster des „Othering“ [Anders-Machung, Fremd-Machung]. Das Muster der Frauendiskriminierung lässt sich also in einen größeren Kontext einfügen, mit dem gesellschaftliche Machtstrukturen erklärt werden können. In den Jahrzehnten nach de Beauvoir hat sich insbesondere der französische Philosoph Michel Foucault mit der Frage des Ausschlusses beschäftigt und beschrieben, wie Wissens- und Machtstrukturen Menschen aus der Norm ausschließen und wie das mit realen Aus- und Einschließungen (etwa in Gefängnissen und Kliniken) zusammenhängt. Feministische Theorien der dritten Welle sind zum Teil stark von diesen Forschungen geprägt.

Die Frauenbewegung, wie sie bis hierher geschildert wurde und auch in den Geschichtsbüchern nacherzählt wird, war bürgerlich und akademisch geprägt und auffallend weiß. Schwarzer Feminismus, den es ebenfalls seit Jahrhunderten gab, war an den Rand gedrängt. Dasselbe gilt für andere Frauenbewegungen, bspw. die der indigenen Amerikaner*innen. Insbesondere in den USA entwickelte sich daher Widerstand gegen diese Blindheit, der sich auf zwei Grundannahmen stützte: Erstens, der Ausschluss als „das Andere“ findet sich auch bei der Diskriminierung anderer marginalisierter Gruppen. Zweitens, und das ist insbesondere für den nicht-weißen Feminismus wichtig: Diskriminierungsformen addieren sich nicht einfach (eine Person ist als Frau und als Schwarze von Diskriminierung betroffen), sondern erzeugen neue, spezifische Diskriminierungsmuster. Ein Beispiel dafür ist das Stereotyp der „wütenden schwarzen Frau“ [angry black woman], ein Stigma, dass sich gerade durch die Überlappung rassistischer und sexistischer Narrative formt. Aus dieser Beobachtung wurde das Konzept der Intersektionalität (Kimberlé Crenshaw) entwickelt, also die theoretische Annahme, dass Diskriminierung auf mehreren Achsen, multimodal gedacht werden muss und dass sie sich nicht einfach addiert, sondern sich gegenseitig beeinflusst. Verschiedene Diskriminierungen überkreuzen sich und gerade diese Schnittmuster sind es, die mit der intersektionalen Analyse erfasst werden sollen.

Ein wichtiger Aspekt des Dritte-Welle-Feminismus ist also die differenziertere Aufarbeitung der gesellschaftlichen Normen, die Ausschlüsse produzieren und dazu führen, dass Macht ungleich verteilt ist. Ziel ist es, diese Ausschlüsse zunächst einmal sichtbar zu machen und langfristig darauf hinzuwirken, sie abzubauen. Letztlich ist es ein Projekt der Universalisierung von gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe, nicht nur für Frauen, sondern für alle marginalisierten Gruppen – und ganz besonders im Fokus stehen diejenigen, die mehrfach diskriminiert sind.

Beispiel Reproduktion

Man kann, wie ich es bis hierher getan habe, die verschiedenen Ansätze des Feminismus anhand ihrer theoretischen Grundannahmen einordnen und darstellen. Auch anhand von konkreten Themenfeldern lassen sich aber die Unterschiede zeigen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Reproduktion (Fortpflanzung), die ein zentrales Thema des Feminismus ist, weil sie sich nicht vollständig fair aufteilen lässt. Schwanger werden und Kinder gebären können nur Menschen mit Gebärmutter und das sind in der Mehrheit Frauen.

So genannte Ökofeministinnen rücken die Gebärpotenz von Frauen daher gerade in den Mittelpunkt (was man als Differenzfeminismus deuten kann) und leiten daraus eine gesellschaftliche Umwertung ab – nämlich diese Potenz als Macht zu verstehen, die Frauen nutzen und einsetzen sollten und die sie nicht dem Patriarchat zur Verfügung stellen sollten. Daraus leitet sich auch eine vehemente Kritik an der Reproduktionsmedizin ab, die als Versuch gedeutet wird, Frauen dieser Potenz zu enteignen oder gar Frauen gänzlich überflüssig zu machen. Für Shulamith Firestone (1970) hingegen beinhalten neue Reproduktionstechniken die Chance, für Frauen eine echte Befreiung zu sein: Die Perspektive, dass Frauen in Zukunft nicht mehr schwanger werden und gebären müssen (wenn extrakorporale Reproduktion möglich ist), wird so zur Ermöglichungsbedingung für die Gleichberechtigung der Geschlechter. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Fragestellung der reproduktiven Freiheit in den 1970er und 1980er Jahren.

Der öffentlich sichtbarste Aspekt beim Thema reproduktive Freiheit war und ist allerdings die Möglichkeit, Mutterschaft und Ehe vermeiden zu können. Das heißt: verhüten zu können, abtreiben zu können und auch unverheiratet ein Kind großziehen zu können. Es geht also darum, sich gegen die Norm, dass eine Frau als Ehefrau und Mutter ihr Leben gestalten soll, zur Wehr zu setzen. Das zeigt, wie weiß und bürgerlich der Feminismus lange geprägt war.

Für rassistisch diskriminierte Frauen ebenso wie für Frauen, die aufgrund von Klasse oder Behinderung diskriminiert werden, gelten nicht unbedingt dieselben Zuschreibungen und Normen. Deshalb gibt es eine lange Geschichte der Ungerechtigkeit in Bezug auf Fortpflanzung: Bestimmten Frauen wird es schwer gemacht, überhaupt schwanger zu werden, es werden Verhütungsmittel verordnet, Abtreibungen vorgenommen oder Sterilisationen durchgeführt, oftmals ungefragt oder unter Druck. Dieser Druck wird verstärkt durch wirtschaftliche Prekarität, die manche Familien ungleich stärker trifft als andere. Auch das macht es manchen Frauen schwerer als anderen, selbstbestimmte Familienplanung zu betreiben. Das hiermit verbundene Schlagwort, das in den 1990er Jahren in den USA entwickelt wurde, ist reproduktive Gerechtigkeit [reproductive justice] – im Gegensatz zur vormals geforderten reproduktiven Freiheit.

Die Frage der reproduktiven Gerechtigkeit zeigt sehr gut die Komplexität von Normen und der damit verbundenen Diskriminierungen, wie sie mit dem Konzept der Intersektionalität analysiert werden: Die Forderung, zu heiraten und Kinder zu bekommen, ist vor allem eine Norm für weiße Mittelschichtsfrauen. Um die Möglichkeit, überhaupt heiraten zu können und Kinder haben zu dürfen, mussten historisch sowohl Arbeiterinnen als auch Schwarze (insbes. versklavte) Frauen hingegen kämpfen. Nicht schwanger werden zu müssen ist für sie also nicht unbedingt das Maß aller Dinge für ihre Befreiung.

Das Beispiel Reproduktion zeigt sehr gut, wie die verschiedenen theoretischen Grundlagen feministischer Ansätze verschiedene Schwerpunkte im „praktischen“ feministischen Kampf setzen können. Man kann das als Widerspruch deuten. Vielleicht wäre es aber produktiver, hier von einem gegenseitigen Ergänzungsverhältnis zu sprechen.

Der vierte und letzte Teil der Feminismus-Reihe erscheint in einer Woche.

Nach- und weiterlesen…

Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991. (Originaltitel: Gender Trouble, 1990) Dieses Buch kann als ein Gründungstext der dritten Welle verstanden werden.
Gena Corea: MutterMaschine. Reproduktionstechnologien – von der künstlichen Befruchtung zur künstlichen Gebärmutter. Berlin: Rotbuch Verlag 1986. (Originaltitel: The Mother Machine, 1985) Das ist ein „Klassiker“ der feministischen Kritik an Reproduktionsmedizin. Wie viele andere feministische Texte aus den 1970ern und 1980ern ist es aber ebenfalls nur noch antiquarisch zu bekommen.
Kimberlé Crenshaw: Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color. In: Stanford Law Review 43 (6) 1991, S. 1241–1299. Das ist der klassische Text, auf den das Konzept der Intersektionalität zurückgeht.
Shulamith Firestone: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution. Frankfurt a. M.: Fischer 1975. (Originaltitel: The Dialectic of Sex. The Case for Feminist Revolution, 1970) Leider ist das Buch auf Deutsch vergriffen und auch antiquarisch nur für hohe Preise zu bekommen.
Michel Foucault: Foucaults historische Studien zur Klinik (Die Geburt der Klinik) oder zum Gefängnis (Überwachen und Strafen) sind spannend als exemplarische Analysen, wie Wissen und Macht miteinander verschränkt sind, wie sie Normen schaffen, Ausschlüsse produzieren und so letztlich auch Subjekte formen.
bell hooks: Ain’t I a Woman? Schwarze Frauen und Feminismus. Münster: Unrast Verlag 2023. (Originaltitel: Ain’t I a Woman? Black Women and Feminism, 2nd Edition 2015; Erstveröffentlichung: 1981) Ein guter Einstieg ins Thema und ein Klassiker des Schwarzen Feminismus.
Zum Thema reproduktive Gerechtigkeit im deutschsprachigen Kontext findet ihr sehr umfassende Informationen hier: https://repro-gerechtigkeit.de/de/

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