Feminismus – Teil 1


Das Thema Feminismus beschäftigt mich schon mein Leben lang. Eins der vielen Dinge, in denen sich die Benachteiligung von Frauen zeigt: Man muss nicht Feministin sein. Aber wenn man für sich selbst Gleichberechtigung will, muss man sich politisch positionieren. Die Gleichberechtigung wird uns bis heute nicht einfach „gegeben“ – auch wenn Feministinnen der letzten Jahrzehnte viele wichtige Erfolge errungen haben.
Daher habe ich mich intensiv mit einigen philosophischen Aspekten des Feminismus befasst. Dieser Text ist aber derartig ausgeufert, dass ich mich entschieden habe, ihn in kürzere Stücke zu teilen und nach und nach zu veröffentlichen. Hier also der erste Teil einer vierteiligen Serie.


Backlash

Der Feminismus erlebt, wie alle progressiven Bewegungen, momentan einen globalen Backlash. Populistische, despotische und offen gewalttätige Politikstile sind wieder salonfähig und mit ihnen kehrt auch Misogynie, die nie wirklich weg war, mit voller Wucht in den politischen Betrieb zurück. Mag sie in den letzten Jahren, spätestens in der Folge von #metoo und zunehmenden öffentlichen Bemühungen um Gleichstellung und Diversität in den Hintergrund gerückt sein, sind im Augenblick rechte Bewegungen auf dem Vormarsch und damit Verfechter einer „traditionellen“ Geschlechterordnung, die die gesellschaftlichen Fortschritte der letzten Jahre zunichte zu machen drohen.

Waren also diese Fortschritte nur ein schöner Traum und die Realität ist zurück? Die politischen Entwicklungen sind beängstigend, keine Frage. Und angesichts der globalen Notlage von Kriegen, Klimawandel und Biodiversitätsverlust ist wenig Optimismus angesagt. Dass die Verteilungskämpfe härter werden, davon ist auszugehen. Und dass Menschen dann noch stärker auf bekannte Muster – das Recht des Stärkeren – zurückgreifen, anstatt zu kooperieren und ihre Energie in die Lösung der Probleme anstatt in den Konkurrenzkampf zu stecken, verwundert erst einmal nicht, auch wenn es irrational sein mag. Trotzdem würde ich es immer mit Susan Faludi (1991) halten und davon ausgehen, dass ein Backlash immer auch bedeutet, dass die progressiven Bewegungen Erfolg hatten. Vielleicht ist der Backlash eher als letztes Aufbäumen des Patriarchats zu verstehen, als Zeichen, dass es jetzt ans Eingemachte geht – und nicht als echte Rückwärtsbewegung. Aber das nützt all den Menschen, die jetzt Gewalt erfahren, deren Chancen jetzt wieder beschnitten werden und deren Leben schwerer gemacht wird, natürlich herzlich wenig, auch klar.

Es wird also viel zu tun geben in der nächsten Zeit für feministische, politische Kämpfer*innen. Was hat das allerdings mit Philosophie zu tun? Mit der grauen, abgehobenen, vergeistigten Philosophie? Nichts natürlich, aber Philosophie ist ja nicht per se unpolitisch. Vielmehr könnte man sagen, dass Philosophie tiefenscharf analysiert und darum bemüht ist, nicht den eigenen Vorurteilen auf den Leim zu gehen. Daher muss sie sich von allzu einfacher politischer Parteinahme distanzieren. Das bedeutet aber nicht, nicht Stellung beziehen zu können. Feminismus durch die philosophische Brille zu betrachten, kann helfen, einige Dinge klarer zu sehen und zu verstehen. Insbesondere die Grundlagen feministischer Haltungen und Argumentationsmuster kann die Philosophie zu verstehen helfen und ihre Einbettung in größere geistesgeschichtliche Strömungen herausarbeiten. Außerdem fällt auf, dass einige der prominentesten Feministinnen auch Philosophinnen waren oder sind – als bekannteste Beispiele vielleicht Simone de Beauvoir und Judith Butler (identifiziert sich inzwischen als nonbinär).

Auf geht’s also in einen Schnelldurchlauf durch die feministische Geschichte.

Grundsätzliches zur Geschichte des Feminismus

Traditionell werden drei „Wellen“ des Feminismus angenommen. Das oben angesprochene Argument, dass „typisch männliche“ Verhaltensweisen wie Konkurrenz und Dominanzverhalten irrational sein könnten und dass es viel rationaler wäre, sich mitfühlend und kooperativ zu verhalten – „typisch weibliche“ Eigenschaften –, ist ein klassisches Argument aus der so genannten „zweiten Welle“.

Schon zur Zeit der Französischen Revolution gab es allerdings feministische Bestrebungen. Bekannt, aber nicht die Erste, ist Olympe de Gouges. Sie verfasste 1791 eine Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin als Reaktion auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die 1789 von der französischen Nationalversammlung verabschiedet worden war, aber die Bürgerrechte nur Männern zusprach. Ein weiteres frühes Beispiel ist Mary Wollstonecraft und ihre Verteidigung der Rechte der Frau von 1792. Zu einer Bewegung wurde der Kampf um Frauenrechte in Europa aber erst etwa um 1900. Diese so genannte erste Welle kämpfte um gleiche Bürgerrechte für Frauen und Männer, insbesondere das Wahlrecht, das bis Ende der 1940er-Jahre für Frauen in fast ganz Europa eingeführt wurde – in Deutschland und Österreich 1918.

Als zweite Welle des Feminismus wird der Aufschwung feministischer Denkweisen und Kämpfe bezeichnet, die mit der 1968er-Bewegung begannen. Hier standen mit dem Schlachtruf „Das Private ist politisch!“ stärker die gesellschaftlichen Strukturen im Fokus, die Frauen, trotz Bürgerrechten, weiterhin benachteiligten: Rechtlich waren Frauen keineswegs vollkommen gleichgestellt, insbesondere nicht in der Ehe, auch nicht in beruflicher Hinsicht oder in Bezug auf die körperliche Selbstbestimmung (Stichwort: fehlendes Recht auf Schwangerschaftsabbruch). Und auch gesellschaftlich wurden weiterhin an Frauen andere Erwartungen gestellt als an Männer, insbesondere die Verrichtung der Haus- und Sorgearbeit.

Als dritte Welle wird ab etwa Mitte der 1990er Jahre die Bewegung verstanden, die auch als intersektionaler oder Queerfeminismus bezeichnet wird. Sie kritisiert unter anderem, dass der Feminismus bis dahin vor allem die Situation weißer Mittelschichtsfrauen im globalen Norden im Blick hatte. Daher versucht Feminismus der dritten Welle, weitere Perspektiven einzunehmen und komplexere Diskriminierungsmuster zu beschreiben, etwa rassistische Diskriminierung im Zusammenhang mit Sexismus und der Diskriminierung Homosexueller.

Hier und dort wird inzwischen von einer vierten Welle des Feminismus gesprochen, die Bezeichnung hat sich bisher aber noch nicht breit durchgesetzt. Jedenfalls sollte man im Hinterkopf behalten, dass abgrenzende Bezeichnungen (etwa dritte gegenüber der zweiten Welle) immer auch einen politisch positionierenden Gehalt haben und dass es oftmals auch darum geht, frühere Ansätze für erledigt zu erklären. Allerdings ist es nie in dieser Weise einfach und die Lage weitaus unübersichtlicher, als es die Einordnung in „Wellen“ erscheinen lässt.

Zum Beispiel hat bereits 1949 Simone de Beauvoir in ihrem feministischen Meilenstein Das andere Geschlecht [Le Deuxième Sexe] den berühmten Satz „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ formuliert, der auch noch für den Star der dritten Welle, Judith Butler, zentrale Gültigkeit hat. Der Konstruktionscharakter von „Geschlecht“ ist also keine Erfindung der dritten Welle, wie mitunter geglaubt wird. Das Unbehagen der Geschlechter, Butlers paradigmatisches Werk, radikalisiert allerdings die Behauptung, dass Geschlecht konstruiert ist. Nicht nur wird dort von einer Sozialisation ausgegangen, die Kinder in einem gesellschaftlichen Sinn zu Mädchen und später Frauen macht – eben weil sie auf eine bestimmte Weise behandelt werden und lernen, sich den an sie gestellten Erwartungen entsprechend zu verhalten. Die Analyse geht noch tiefer in die Frage hinein, was unsere Vorstellung von Geschlechtsidentität ausmacht und versucht, das, was oft mit Vorstellungen von „Natürlichkeit“ oder „Biologie“ begründet wird, grundlegend zu dekonstruieren. Wie de Beauvoir allerdings ist Butler klar, dass es bei all dem auch – und zwar wesentlich! – um Fragen der Machtverteilung geht.

Eine Besonderheit des Feminismus ist, dass er ganz grundsätzlich zwischen den Polen Erkenntnisanspruch und politischem Kampf schillert: Einerseits geht es um den Kampf für bürgerliche Rechte, um Anerkennung für „Frauenthemen“ als gesellschaftlich relevant und um Gleichberechtigung im Arbeits- und Privatleben. Andererseits geht es zunächst einmal darum, die Bedingungen des Frau-Seins, der gesellschaftlichen Stellung von Frauen, überhaupt zu erfassen und zu analysieren. De Beauvoirs Buch zeigt das exemplarisch: Getrieben von einer Art „ethnologischem“ Erkenntnisinteresse betrachtet sie zunächst die Bedingungen des Frau-Seins von allen Seiten – um am Ende mit Überlegungen dazu abzuschließen, wie die Befreiung der Frauen gelingen könnte. Diese einander durchkreuzenden Ziele feministischen Denkens bedingen einander auch: Wenn ich eine bestimmte Vorstellung davon habe, was eine Frau ist, dann bestimmt das meine Vorstellung davon, was sie sein soll – oder wie eine Welt aussehen soll, in der Frauen ihre Rechte erhalten.

Teil 2 der Feminismus-Reihe erscheint in einer Woche

Genannte und weiterführende Literatur

Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Reinbek: Rowohlt 1992. (Originaltitel: Le Deuxième Sexe, 1949)
Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991. (Originaltitel: Gender Trouble, 1990)
Susan Faludi: Die Männer schlagen zurück. Reinbek: Rowohlt 1993 (Originaltitel: Backlash. The Undeclared War Against American Women, 1991)
Olympe de Gouges: Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin, Originaltitel: Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne, 1791. Link
Susanne Kaiser: Backlash – Die neue Gewalt gegen Frauen. Stuttgart: Tropen 2023.
Mary Wollstonecraft: Verteidigung der Rechte der Frau, Originaltitel: A Vindication of the Rights of Woman: with Strictures on Political and Moral Subjects, 1792. Link

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