James: Der Pragmatismus (1)


„Der Pragmatismus“

von William James

Zum Mitlesen (leider nur im englischen Original): Volltext bei Project Gutenberg


Mein Anspruch, Theorien zwar verständlich, aber dabei nicht oberflächlich zu behandeln, führt zu Texten, die eigentlich zu lang sind für das Internet. Deshalb bin ich in letzter Zeit dazu übergegangen, die Texte zu unterteilen und ein Thema umfassend in mehreren Texten zu behandeln. Hier also der erste Teil einer Serie zu William James‘ Buch „Der Pragmatismus“ – einem zentralen Werk aus der Frühphase der philosophischen Strömung Pragmatismus.


Der Pragmatismus von William James (1842–1910) aus dem Jahr 1907 gehört zwar zu den Klassikern der angloamerikanischen Philosophie, ist außerhalb der philosophischen Community in Deutschland allerdings weniger bekannt. Warum also das Buch hier behandeln?

Zum einen stelle ich es deswegen hier vor, weil es sehr gut lesbar ist. Es ist nicht sehr lang (unter 200 Seiten in der deutschen Übersetzung) und es ist fast schon mitreißend geschrieben. In jedem Fall so, dass es auch ohne philosophiehistorische Vorkenntnisse gut zu verstehen ist. Der Stil ist lebendig und das Buch ist durchzogen von Erläuterungen und Einordnungen in die Philosophiegeschichte. Diese Einordnungen sind zum Teil vielleicht etwas vereinfachend und einseitig, sie machen aber das Projekt, um das es William James hier geht, sehr gut anschaulich.

Zum anderen ist der Pragmatismus deswegen eine interessante philosophische Strömung, weil er die „Infragestellung von Gewissheiten“, die ein Kennzeichen der Philosophie des 20. Jahrhunderts ist, in ganz eigener und sehr zugänglicher Weise ausdeutet. Zu guter Letzt ist „Der Pragmatismus“ auch deswegen spannend, weil er gut als Einführungswerk funktioniert. Es werden viele große Themen der Philosophie behandelt und in das theoretische Gebäude „Pragmatismus“ einsortiert und man braucht auch nicht noch weitere Bücher von James zu kennen um zu verstehen, worum es ihm geht.

Entstehungsbedingungen

„Der Pragmatismus“ ist die Niederschrift von Vorlesungen, die James 1906 und 1907 gehalten hat und die bereits 1907 auch veröffentlicht wurden. Schon 1907 im November hatte Wilhelm Jerusalem die deutsche Übersetzung abgeschlossen und sie wurde noch im selben Jahr veröffentlicht. Das ist ungewöhnlich schnell, selbst für die heutige Zeit. Und Anfang des 20. Jahrhunderts war der internationale Austausch, ohne Internetverbindung und Linienflüge, noch deutlich mühseliger als heute.

Was ist der Pragmatismus? Er gilt als die amerikanische Philosophie. Und es klingt ja auch so schön hemdsärmelig, so wie: Naja, bei der ganzen Traumtänzerei in der Philosophie muss man ein bisschen pragmatischer werden! (Und wer könnte das besser als die Amerikaner*innen?) Und ja, dieses Hemdsärmelige wird dem Pragmatismus immer wieder vorgeworfen. Zum Teil ist das ein Vorurteil, das, glaube ich, daher rührt, dass sich die Schriften einiger Pragmatisten – neben James fällt mir da sofort John Dewey (1859–1952) ein – tatsächlich sehr gut lesen. Sie sind nicht nur stilistisch gut, sondern auch zugänglich in ihrem Aufbau und ihrer Sprache. Viele Texte anderer philosophischer Strömungen klingen komplizierter und technischer und manche Leute halten sie daher für klüger oder durchdachter. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.

In anderer Hinsicht hat dieses Vorurteil aber auch eine gewisse Berechtigung, denn gerade James wirft in seinem Buch aus strategischen Gründen viele philosophische Strömungen in einen Topf und vereinfacht an vielen Stellen, vermutlich der Zuspitzung und der besseren Verständlichkeit wegen. Der Pragmatismus als philosophische Strömung ist aber wirklich nicht simpel, es stecken viele sehr feingliedrige und durch die philosophische Tradition gedeckte Überlegungen und Ansätze darin. Seine Zugänglichkeit ist dabei durchaus auch als Programm zu verstehen, die Philosophie aus dem Elfenbeinturm heraus und ins „echte Leben“ zu holen. Es steckt auf jeden Fall eine Kritik an elitärer „geheimwissenschaftlicher“ Philosophie darin. Und diese Kritik ist doch nur zu begrüßen!

Im Buch Der Pragmatismus kommt der Pragmatismus tatsächlich etwas plakativ daher. Denn das Buch ist der Versuch, ihn einem breiteren Publikum bekannt zu machen und es beruht auf einer Vortragsreihe – und Vorträge sind häufig etwas weniger detailliert als schriftliche wissenschaftliche Abhandlungen. Tatsächlich war James weder nur Philosoph, noch hat er den Pragmatismus erfunden. Er ist auch einer der Begründer der Psychologie in Amerika. Als Erfinder des Pragmatismus hingegen gilt der etwa gleichaltrige Charles S. Peirce (1839–1914),1 mit dem James eng befreundet war. Dessen Schriften sind ungleich schwieriger zu lesen, bei ihm ist aber deutlicher zu erkennen, welche philosophischen Einsätze hier gemacht werden, welche Traditionen und welche metaphysischen Grundlagen im Pragmatismus weitergedacht werden. Wenn man James liest, wäre man überrascht, wie viel mathematisch-Logisches und wie viel Kant in Peirce’ Pragmatismus steckt. Als dritter „früher Pragmatist“ ist noch Dewey zu nennen, ein Schüler Peirces’, der neben der Philosophie vor allem als Reformpädagoge berühmt ist.

William James könnte als der Außenminister oder Werbebotschafter des Pragmatismus verstanden werden: Er sorgte dafür, dass der Begriff „Pragmatismus“ erstmals gedruckt erschien (1898) und veröffentlichte mit „Der Pragmatismus“ ein programmatisches und viel rezipiertes Buch. Entwickelt wurde das Konzept aber in den Jahrzehnten davor, im Austausch verschiedener Philosophen, und Peirce spielte eine zentrale Rolle dabei. Während Peirce aber, als vielleicht wichtigster Kopf in der Entwicklung dieser Denkrichtung, wohl eher ungeschickt in der Öffentlichkeitsarbeit war – trotz seiner wichtigen Stellung in der Entwicklung des Pragmatismus und seiner unbestreitbar großen Bedeutung für die amerikanische Philosophiegeschichte konnte er im akademischen Betrieb nie Fuß fassen –, war es nur folgerichtig, dass sein lebenslanger Freund James diese Aufgabe übernahm und Werbung für diese neue, revolutionäre Idee machte.

Wenn ihr euch das Buch auf Deutsch besorgen wollt, achtet darauf, dass ihr eine gute Übersetzung erwischt. Es scheint, dass im Internet auch KI-generierte Übersetzungen kursieren, die kein Vergleich mit der Originalübersetzung von Jerusalem sind. Die im akademischen Kontext gebräuchliche Ausgabe ist die aus dem Meiner-Verlag (siehe Box). Dort ist auch eine ausführliche Einleitung von Klaus Oehler enthalten, die für Einordnung und Verständnis des Buches hilfreich ist. Diese stammt zwar aus den 1970er-Jahren und bildet damit nicht den aktuellsten Forschungs- und Entwicklungsstand des Pragmatismus ab. Aber die Einordnung James’ in die Frühgeschichte des Pragmatismus und die inhaltlichen Erläuterungen haben nichts von ihrer Aktualität verloren.

In den nächsten Wochen erfahrt ihr mehr über die Grundlagen des Pragmatismus bei Peirce, das Programm, das James mit seinem Buch verfolgt und einige zentrale inhaltliche Punkte von „Der Pragmatismus“. Insbesondere die Ausführungen über Wahrheit haben die Rezeption des Pragmatismus nachhaltig geprägt und werden auch in den folgenden Wochen ausführlich zur Sprache kommen.

  1. Diesen Namen spricht man übrigens nicht, wie man denken könnte, wie das englische „to pierce“ aus, sondern mehr wie das englische Wort „purse“. ↩︎
Originaltext

William James: Der Pragmatismus. Ein neuer Name für alte Denkmethoden. Hamburg: Meiner 1994.

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